Essen/ Münster/ Dortmund, den 7. Oktober 2009

Gemeinsame Presseerklärung
Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS), Essen
und Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK) Westfalen-Lippe, Münster

Jeder Patient kennt es: Arzneimittel werden von den gesetzlichen Krankenkassen erstattet, sofern sie verschreibungspflichtig sind und vom Arzt im zugelassenen Anwendungsgebiet verordnet werden. Dasselbe gilt für Methoden, die in den ärztlichen Leistungskatalog aufgenommen sind. Ausnahmen davon gibt es nur in eng umschriebenen Situationen und auf Antrag. Wenn es zum Beispiel in akut lebensbedrohlichen Situationen keine anerkannten Behandlungsmethoden gibt, dürfen ausnahmsweise Methoden zur Anwendung kommen, für deren Wirksamkeit es bislang nur Indizien gibt.

Das hat das Bundesverfassungsgericht (BVG) im Dezember 2005 entschieden. Im Einzelfall prüft der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK), ob die sozialmedizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung vorliegen. Vier Jahre nach dem Beschluss des BVG zogen Experten am 7. Oktober in Dortmund eine Zwischenbilanz dieser Regelung aus medizinischer, rechtlicher und ethischer Sicht.

„Der Medizinische Dienst hat die Vorgaben des Bundesverfassungs- und des Bundessozialgerichts erfolgreich umgesetzt“, sagte Dr. Holger Berg, Geschäftsführer des MDK Westfalen-Lippe. Nach Auswertungen des Medizinischen Dienstes haben die Gutachterinnen und Gutachter des MDK bei rund 35 Prozent der Versicherten mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung – oft Krebspatienten – , die bei ihrer Krankenkasse die Kostenübernahme für eine neue Untersuchungsmethode beantragt hatten, den Einsatz der Methode befürwortet. Für weitere 40 Prozent der Antragsteller kamen nach Einschätzung des MDK vertragliche Alternativen in Betracht. Bei Arzneimitteln, so zeigen etwa Daten aus dem MDK Westfalen-Lippe, wird bei etwa einem Drittel der Anträge, die vom MDK beurteilt werden, der Einsatz des Arzneimittels empfohlen. So genannte Außenseitermethoden werden nur ausnahmsweise durch den MDK geprüft, die meisten Methoden kommen aus dem „Hightech“-Bereich oder es handelt sich um neu entwickelte Arzneimittel. Unklar ist, wie die bei neuen Arzneimitteln nicht selten auftretenden schweren Nebenwirkungen gegen die ungewissen Behandlungsergebnisse abgewogen werden sollen.

„Mit der Rechtsprechung von Bundesverfassungs- und Bundessozialgericht ist es möglich geworden, Schwerstkranken weitere Behandlungsoptionen zu eröffnen“, bilanzierte Prof. Jürgen Windeler, Leitender Arzt des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen (MDS). „Allerdings müssen die Indizien für den Einsatz von Verfahren und Methoden auch bei Schwerstkranken Mindestanforderungen an Qualität und Wirksamkeit erfüllen. Gerade dieser Patientengruppe sind wir es schuldig, dass Fragen des Patientenschutzes beachtet werden.“ Generell müsse die Erkenntnislage über Verfahren in Deutschland verbessert werden, forderte Windeler.

Hintergrund:

Mit dem so genannten Nikolausurteil vom 6. Dezember 2005 hat das Bundesverfassungsgericht den Leistungsanspruch von gesetzlich Versicherten, die an einer akut lebensbedrohlichen Erkrankung leiden oder sich in einer notstandsähnlichen Situation befinden, erweitert. Sie können unter bestimmten Voraussetzungen die Kosten für eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (NUB) und außerhalb der Zulassung eingesetzten (Off-Label) bzw. importierten Arzneimitteln von ihrer Krankenkasse im Einzelfall erstattet bekommen. Das Bundessozialgericht hat diese Rechtsprechung präzisiert, und der MDK, der im Einzelfall prüft, ob die medizinischen Voraussetzungen vorliegen, hat seine Begutachtung im Bereich Arzneimittel und Methoden entsprechend umgestellt.